Edition Bachs Toccata
Ein Schritt in absolutes Neuland
200 Jahre Takt 72 falsch
In der ältesten Handschrift fehlt in Takt 72 eine Schlagzeit. Seit 200 Jahren füllen alle Ausgaben die Schlagzeiten 3 und 4 mit einer später erfundenen Passage. Bisher unentdeckt blieb, dass der Kopist Schlagzeit 1 mit einem x markierte und dass an der so bezeichneten Stelle das Fugenthema vervollständigt werden muss.
Älteste Handschrift vorrangig
Die Abweichungen in allen weiteren Abschriften sind kreative Einfälle der Kopisten, erfreuen sich aber der Sympathie der Herausgeber. Die kritisierte Einfachheit des Werkes wird durch Missachtung der Notation verschärft.
Titelseite fraglich
Der einzige Hinweis auf Johann Sebastian Bach als Autor (1685-1750) ist die Titelseite der ältesten Abschrift. Diese jedoch stammt nicht vom Kopisten des Werkes, sondern von einer Person, die weder mit Notationskonventionen noch mit dem Werk vertraut war.
Kopist fraglich
Die Signatur auf der Titelseite „verfasst von Johannes Ringk“ zeigt eindeutig nicht die Handschrift Ringks. Ringk hatte vielmehr die Vorlage verfasst und seine Signatur wurde von dieser mitkopiert.
Komponist fraglich
Die Zuschreibung an Johann Sebastian Bach wurde beharrlich tradiert und rettete das Werk vor dem Vergessen. Adolf Bernhard Marx, der führende Theorielehrer seiner Zeit und 1833 erster Herausgeber der Toccata, vertrat öffentlich eine Datierung des Werks in die Zeit nach Bach.
Jugendwerk fraglich
Die Forschung ordnet die Toccata in die Jugendzeit Johann Sebastian Bachs ein. Merkmale, die nicht zu seinem sonstigen Schaffen passen, werden mit jugendlicher Unerfahrenheit erklärt.
Motivisch-thematische Arbeit
Die Noten lassen in allen 143 Takten motivisch-thematische Arbeit erkennen. Der Textband der Edition erläutert dies detailliert mit farbigen Notenbeispielen. Die Zuschreibung an Bach verhinderte die Erkenntnis.
Gegenteil von unerfahren
Erst Joseph Haydn (1732-1809) gilt als Entwickler der motivisch-thematischen Arbeit. Definiert erscheint sie erstmals 1802 im Musiklexikon von Heinrich Christoph Koch. Die Vielfalt der Verarbeitung in der Toccata spiegelt großes Können wider.
Wagner-Orgel Marienkirche Berlin
Das instrumentale Umfeld ist die Wagner-Orgel der Berliner Marienkirche. Die Orgel besaß zu keiner Zeit das tiefe Cis, das in Takt 2 vorkommt. Aufführungen der Toccata an der Orgel sind mehrfach dokumentiert.
Amalien-Orgel Berlin
Die erste Hausorgel von Prinzessin Anna Amalia von Preußen im Berliner Schloss besaß auf beiden Manualen und im Pedal das große Cis. Die Orgel befindet sich heute in der Kirche Zur frohen Botschaft in Berlin-Karlshorst.
C. P. E. BACH (1714-1788)
Bei der Autorenfrage rückt der zweitälteste Bach-Sohn ins Zentrum. In seinen Werken kommen sehr ähnliche Motive und Passagen vor. Motivisch-thematische Arbeit spielt bei ihm zunehmend eine Rolle. Die Toccata könnte ein Experiment an der Amalien-Orgel gewesen sein, um neue Kompositionsverfahren auf der Orgel auszuprobieren.