Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565

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Was Sie wissen sollten

Takt 72 und die Folgen

Alle Themeneinsätze in der Fuge sind gleich lang, nur beim sechsten Themeneinsatz fehlt eine Schlagzeit. Ergänzt man diese, vervollständigt sich Takt 72 automatisch.

  • Kein Komponist vergisst bei einem Thema auf eine Schlagzeit. Die  älteste erhaltene Handschrift stammt daher nicht vom Komponisten. Sie ist kein Autograf, sondern Abschrift von einer Vorlage.
  • Der Kopist notierte über dem Beginn von Takt 72 ein x, exakt an der Stelle, an der im Thema die Schlagzeit fehlt. Diese Markierung wurde bisher von allen Herausgebern übersehen. Sie diente zweifellos als Merkhilfe, um mit dem Eigentümer der Vorlage die fehlende Taktzeit zu besprechen.
  • Der Takt 72 war also schon in der Vorlage fehlerhaft. Er wurde nicht erst durch den Schreiber verursacht.
  • Die Vorlage war nicht im Besitz des Komponisten. Kein Komponist verborgt eine derart fehlerhafte Abschrift.
  • Der Eintrag „Scripsit Johannes Ringk“ zeigt eine gänzlich andere Handshrift als Ringk. Er wurde vom Schreiber von der Vorlage kopiert. Johannes Ringk war nicht der Schreiber der erhaltenen Handschrift, sondern der Verfasser der Vorlage dazu.
  • Keine einzige Abschrift enthält die richtige Version von Takt 72.
  • Die geplante Nachfrage bei Ringk bzw. die Korrektur fand nicht statt. Zum Zeitpunkt des Eintrags der Markierung mußte Ringk gelebt haben. Da keine Korrektur stattfand, war er wohl mittlerweile verstorben.  Folglich fand die Abschrift von Ringks Vorlage um Ringks Todestag Ende August 1778 statt.
  • Alle weiteren Abschriften stammen von der ältesten Handschrift ab. Sie wurden rund 50 Jahre oder später nach der ältesten Handschrift angefertigt.
  • Jeder Kopist und Herausgeber musste ohne weitere Hinweise die Vervollständigung von Takt 72 (er)finden.
  • Bisher kam niemand auf die Idee, die Themeneinsätze zu vergleichen. Der fehlerhafte sechste Themeneinsatz blieb jahrhundertelang unentdeckt.
  • Nur die älteste Handschrift ist Referenz. Abweichungen sämtlicher anderer Abschriften und Frühdrucke beruhen einzig und allein auf dem Gutdünken der jeweiligen Kopisten bzw. Herausgeber.

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Im folgenden der korrekt vervollständigte sechste Themeneinsatz. Die vorliegende Ausgabe bei urtext.at bietet nicht nur den richtig ergänzten Takt, sondern folgt auch bei anderen Stellen der Lesart der ältesten Handschrift..